Silvester, der Mob und ein Aufruf an die Unanständigen

Obwohl ich eigentlich als diskursfreudiger Mensch bekannt bin, habe ich mich in den letzten Tagen sehr damit zurückgehalten, mich auf Facebook oder Twitter zum Thema Silvester in Köln zu äußern. Denn ich war nicht dabei, und selbst von denen, die dabei waren – Feiernde, Opfer (von was exakt auch immer) und Polizei – gibt es bekanntermaßen sehr widersprüchliche Aussagen, zu dem was dort passiert ist. Offenbar gab es sexuelle Übergriffe, vielleicht als aggressive Variante des »Antanztricks«, vielleicht auch unabhängig davon. Scheiße ist das auf jeden Fall. Die mutmaßlichen Täter sollen irgendwie aus einem »Mob« von rund tausend Menschen heraus agiert haben und überwiegend »nordafrikanisch« oder »arabisch« ausgesehen haben. Angeblich hätten sich zahlreiche (oder wahlweise und eher unglaubwürdig: alle) von der Polizei kontrollierten Personen mit Papieren des Bundesamtes für Migration ausgewiesen, waren also Flüchtlinge. Ein gefundenes Fressen also für Leute, die Flüchtlinge sowieso noch nie ausstehen konnten, wenigstens solange man ignoriert, dass »kontrollierte Person« ja weder »Täter« noch auch nur »Tatverdächtiger« heißt – vor allem nicht für jene Taten, von denen die Polizei offenbar auch erst später erfahren hat. Ob die Tatsache, dass offenbar mehrere gestohlene Mobiltelefone in oder in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften geortet wurden etwas über die Täterschaft der dortigen Bewohner aussagt oder vielleicht eher über die Ströme von Hehlerware, kann ich nicht beurteilen. Dass jedenfalls die Wahrscheinlichkeit, dass ein Handy eher aus dubiosen Quellen stammt als vom Media Markt, bei mittellosen Flüchtlingen vielleicht etwas höher ist als bei der Durchschnittsbevölkerung, halte ich nicht für undenkbar. Aber wie gesagt, ich kann das nicht ermessen. Ich bin mir aber ganz sicher, dass ich sexuelle Übergriffe oder gar Vergewaltigungen schlimmer finde, als ein paar geklaute Telefone. Und inwieweit zwischen den Taten ein Zusammenhang besteht, ist nach heutiger Nachrichtenlage ja wohl zumindest unklar.

Und eigentlich, das sagte ich ja eingangs, wollte ich mich zu den Geschehnissen selbst mangels näherer Informationen ja auch gar nicht äußern. Interessant wird es beim Umgang damit. Was die juristische Seite angeht (Stichwort: Strafverschärfung, schnellere Abschiebung) bringt es Bundesrichter Thomas Fischer in der aktuellen Ausgabe seiner Rechtskolumne in der ZEIT mal wieder auf den Punkt – wenn auch wie immer recht zynisch.

Eine lange Diskussion in meinem Freundeskreis brachte uns dieses Video von Serge Nathan Dash Menga ein, der sich in seiner Eigenschaft als in Essen lebender Deutscher mit kongolesischer Herkunft an diejenigen in Deutschland lebende Ausländer wendet, die sich nicht benehmen können (»Die, die sich benehmen, brauchen sich nicht angesprochen zu fühlen.«):

[Das Video ist inzwischen nicht mehr verfügbar.]

Das Video wurde mittlerweile über 5 Millionen mal angesehen (nicht mitgerechnet die Re-Posts diverser Nachrichtenportale, die den Clip flugs selbst online gestellt haben). Und zunächst einmal klingt das alles plausibel und richtig: Serge erzählt, warum er sich in Deutschland wohlfühlt und fordert im Wesentlichen die Minderheit krimineller Ausländer auf, »nach Hause« zu gehen, wenn es ihnen denn hier nicht gefalle. Das, was jene sich herausnähmen (gemeint sind sexuelle Übergriffe), würde »im Grunde genommen das Ansehen aller in Deutschland lebenden Ausländer besudeln«.

Mit der Einschätzung, dass das Ansehen von völlig friedlich in Deutschland lebenden Ausländern (und damit meint er offenbar auch solche, die wie er auf dem Papier Deutsche sind, aber halt so aussehen), hat Serge zweifellos recht. Und natürlich ist sein Zorn verständlich, und ich wäre der letzte, der ihm abspricht, das in einem Video zu äußern. Trotzdem halte ich das Video inhaltlich für hochproblematisch – und habe es deshalb bislang auch nicht auf Facebook oder Twitter geteilt. Im Wesentlichen sehe ich folgende Probleme:

  1. Dass alle oder die meisten der Täter in Köln Ausländer oder gar Flüchtlinge waren, ist keinesfalls gesichert, und schon gar nicht war es das am 7. Januar, als Serge Menga seine Videobotschaft postete. Dadurch, dass er die unklaren Fakten als gegeben hinnimmt, reproduziert er aber auch die Vorurteile gegenüber »diesen kriminellen Ausländern«. Das tut er sicherlich nicht mit Absicht, und deshalb kann man ihm das auch nicht vorwerfen, aber der Effekt bleibt trotzdem. Und selbst wenn die übergriffigen jungen Männer aus Köln alle »Ausländer« in der weiten Definition von Serge (also sozusagen nordafrikanisch oder arabisch aussehende Menschen, möglicherweise mit deutschem Pass) gewesen sein sollten: Wohin soll denn ein vielleicht in Köln oder Düsseldorf geborener Migrant der zweiten Generation »nach Hause« gehen?
  2. Sexuelle Übergriffe, darunter möglicherweise auch Vergewaltigungen, werden zu »sich nicht benehmen können« verharmlost, ausgeübt von Männern, die »nicht die Eier in der Hose haben« oder »so hässlich wie die Nacht sind, dass sie eine Frau nicht auf normale Art und Weise kennenlernen können«. Tatsächlich kommen sexuelle Übergriffe quer durch die Gesellschaft und sicher auch bei gut aussehenden Männern vor. Und bei allem, was über Silvester in Köln berichtet wurde: Ich kann mich nicht erinnern, bisher auch nur einmal gehört zu haben, dem »Mob junger Männer« sei es um das Kennenlernen von Frauen gegangen.
  3. Wenn Serge die tolle Lebenssituation für Ausländer in Deutschland anpreist, dann mag er für sich sprechen, aber vielleicht nicht für diejenigen, die er eigentlich ansprechen will. Wer seinen Lebensunterhalt damit verdient, am Kölner Hauptbahnhof Handys und Geldbörsen zu klauen, der mag zwar dem politischen Schweinesystem in seinem Herkunftsland entgangen sein, aber gehört zweifellos nicht zu den ›Migrationsgewinnlern‹. Auch wenn es in Köln zu sexueller Gewalt gekommen ist, kann ich mir kaum vorstellen, dass die Täter vorher zusammengesessen haben bis dann einer sagte: »Hey, lass mal zum Hauptbahnhof gehen, Frauen begrapschen!« Die waren da zum Arbeiten, die Arbeit heißt Taschendiebstahl (oder vielleicht: Raub), und den Job macht niemand freiwillig, der auch einen vernünftigen Job haben könnte.
  4. Aber vielleicht machen ›diese Ausländer, die sich nicht benehmen können‹ das ja doch freiwillig? Dann aber bricht Serges nächster Punkt in sich zusammen: »Wenn Deutschland doch so beschissen ist«, dann mögen die, die das finden, doch bitte nach Hause gehen. Aber wo bitte sind denn diese Ausländer/Migranten, die dieser Meinung sind? Ich habe noch keinen getroffen, und das obwohl die Lebensverhältnisse für viele Refugees in Deutschland tatsächlich beschissen sind.

Wie gesagt, ich kann Serges Ärger verstehen und er darf dem auch gerne Luft machen. Ich würde mir aber – gerne auch von anderer Seite, vielleicht von den Millionen Menschen, die das Video geteilt haben – etwas wünschen, das über ein einfaches »Wenn’s dir nicht gefällt, dann geh’ doch nach Hause« hinausgeht. Denn wenn es uns hier so nicht gefällt – und mir gefallen weder sexuelle Übergriffe, noch Taschendiebstahl, noch miserable Lebenssituationen – dann sollten wir statt wegzulaufen lieber etwas daran ändern. Beim Thema Sex etwa geht das zum Beispiel so: